
Objektiv mit Bildstabilisator – ja oder nein?
Beim Kauf von Objektiven stellt sich oft die Frage: mit oder ohne Bildstabilisator? Lohnt sich der Aufpreis wirklich? Ich möchte heute beleuchten, für wen ein Bildstabilisator wirklich nützlich oder gar nötig ist.
Bildstabilisator oder mehr Lichtstärke?
Viele Objektive gibt es mit oder ohne Bildstabilisator. Einige gibt es sogar in 4 unterschiedlichen Varianten:
– weniger lichtstark & ohne Stabilisator
– weniger lichtstark & mit Stabilisator
– lichtstark & ohne Stabilisator
– lichtstark & mit Stabilisator
Das wohl bekannteste Beispiel dafür ist das Canon 70-200 mm *Amazon Partnerlink.
Warum die Überlegung aufkommt, ob ihr den Stabilisator benötigt, wird beim Blick auf die Preise klar: die Version mit Lichtstärke 1:4 kostet ohne Stabilisator ca. 690 €, mit Stabilisator 1150 €.
Die Variante mit Lichtstärke 1:2,8 liegt zur Zeit unstabilisiert bei 1200 €, mit Bildstabilisator bei 2130 €.
Der Bildstabilisator zieht also in etwa den gleichen Aufpreis nach sich, wie eine ganze Blende mehr Lichtstärke.
Funktion des Stabilisators
Jeder Hersteller hat für den Stabilisator im Objektiv unterschiedliche Namen erfunden. Canon nennt ihn „Image Stabilizer“ (IS), Sigma „Optical Stabilizer“ (OS), Tamron „Vibration Compensation“ (VC) und Nikon „Vibration Reduction“ (VR). Die Funktionsweise ist jedoch immer ähnlich. Im Objektiv sind Sensoren zur Messung von Bewegungen vorhanden, welche ein Signal zur Verschiebung einer oder mehrerer optischer Elemente weitergeben.
Hier hat sich jemand die Mühe gemacht und sein Objektiv auseinander geschraubt um zu filmen, wie der Stabilisator arbeitet: Video
Der Bildstabilisator gleicht also eure zittrige Hand aus, damit das Foto nicht verwackelt. Klingt super, oder? Je nach Objektiv funktioniert das unterschiedlich gut. das Canon 70-200mm 1:4L IS gleicht laut Canon bis zu vier Blendenstufen aus.
Eine Faustformel lautet, dass der Kehrwert der Brennweite als Verschlusszeit ein unverwackeltes Foto ermöglicht. Wenn ihr also mit einem 200 mm Objektiv fotografiert, könnt ihr also im Normalfall mit 1/200 s fotografieren, ohne sichtbar zu verwackeln. Habt ihr besonders ruhige Hände, kann die Zeit natürlich auch länger sein, bei zittrigen Händen lieber etwas kürzer.
Mit dem Bildstabilisator in unserem Beispiel-Objektiv könnt ihr nun jedoch auch mit 1/15 s fotografieren, ohne zu verwackeln.
Viele Objektive bieten zudem die Möglichkeit die Stabilisierung auf Vertikale oder Horizontale Bewegungen einzuschränken, um somit bei Mitziehern sinnvoll zu arbeiten.
Wann ist der Bildstabilisator sinnvoll?
Wenn ihr mit viermal längerer Zeit fotografieren könnt, erweitern sich eure Einstellmöglichkeiten für Blende und ISO erheblich. Unter schwachen Lichtverhältnissen könnt ihr so zum Beispiel die Emfindlichkeit von 3200 ISO auf 200 ISO senken. Das macht den Unterschied zwischen erheblichen und fast keinem Bildrauschen!
Ebenfalls möglich wäre ein Schließen der Blende um 4 Stufen, also beispielsweise von f/2 auf f/8. Dadurch erhaltet ihr sowohl mehr Tiefenschärfe als auch eine höhere Bildqualität.
Doch halt – irgendwoher kennen wir das Prinzip doch, oder? Richtig! Von einem ganz gewöhnlichen Stativ. Und dieses ermöglicht euch sogar eine uneingeschränkte Verlängerung der Belichtungszeit.
Nun muss jeder von euch einschätzen, ob er immer gern ein Stativ mit sich herumträgt, wenn er Fotos macht. Ich selbst bin nicht so ein Stativ-Freund. Gerade bei Reportage-Aufnahmen ist es oft zu sperrig und verhindert schnelle Perspektiven-Wechsel, da es in der Höhe verstellt werden muss.
Bei Architektur- oder Landschaftsfotos sind mir Stative jedoch lieber, da ich hier beispielsweise einen Innenraum mit weit geschlossener Blende und 2 s Belichtungszeit fotografieren kann, ohne mir um Verwackelungen Sorgen zu machen.
Genau wie das Stativ auch, kann der Bildstabilisator eines nicht ausgleichen: die Bewegung von Objekten. Wollt ihr also einen Sprinter fotografieren, könnt ihr die zwingend nötige kurze Verschlusszeit nicht ausgleichen.
Viele neigen deswegen zu dem Schluss, dass ein Stabilisator bei bewegten Objekten nichts bringt. Doch nicht jede Bewegung ist auch so schnell, dass ihr sie nicht z.B. mit 1/80 s fotografieren könnt. Fotografiert ihr z.B. Personen in einer normalen Gesprächssituation, so bewegen sich diese zwar, aber nicht besonders schnell. Wollt ihr dieses Motiv aus einem größeren Abstand mit z.B. 300 mm Brennweite fotografieren, so müsstet ihr 1/300 s Belichtungszeit einhalten. Mit dem Stabilisator könnt ihr die Situation jedoch mit 1/80 s einfangen. Damit könnt ihr z.B. wieder die Empfindlichkeit von ISO 1600 auf 400 reduzieren.
Auch Tiere bewegen sich – macht hier ein Stabilisator Sinn? Bei einer sprintenden Gazelle eher nicht. Doch steht diese trinkend am Fluss, so könnt ihr mit einem 500 mm Objektiv auch mit 1/60 s fotografieren.
Ein weiterer Vorteil wird sichtbar, wenn ihr mit eurer DSLR auch Videos dreht. Hier hilft der Stabilisator die Kamera-Bewegung ruhiger erscheinen zu lassen.
Stabilisiert wird übrigens nicht nur für das letztendliche Foto oder Video, sondern auch euer Sucherbild. Somit lässt sich vor allem bei sehr langen Brennweiten der Bildausschnitt ruhiger bestimmen.
Nachteile des Stabilisators – und wann macht höhere Lichtstärke mehr Sinn?
Bei unserem Beispiel-Objektiv mit 70-200 mm gibt es als Alternative zum IS auch die Möglichkeit eine Blende Lichtstärke hinzu zu kaufen. Hier könnt ihr also bei gleicher ISO eine doppelt so kurze Verschlusszeit ermöglichen. Dies macht besonders bei Sportfotos Sinn, oder aber bei schnell bewegten Tieren – also genau bei den Fotos wo der Stabilisator nicht weiterhilft.
Der Stabilisator hat jedoch auch, wenn nicht ganz so bedeutsame, Nachteile.
Zum einen steigt der Stromverbrauch mit aktiviertem Stabilisator. Das sollte jedoch mit Wechsel-Akkus nicht zum Problem werden.
Hinzu kommt das etwas höhere Gewicht der stabilisierten Objektive. Das 70-200 mm f/4 IS wiegt mit ca. 760 g ungefähr 55 g mehr als die Variante ohne IS.
Ab und zu hört man auch von leichten Schärfe-Verlusten durch den Bildstabilisator, aufgrund der dezentralen Verwendung der beweglichen Linsen. Ob diese Verluste wirklich sichtbar sind, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden – viel davon stellt sich letztendlich nur als Einbildung heraus ;)
Bildstabilisator – mein persönliches Fazit und Erfahrungen
Ich selbst habe die meiste Zeit meines bisherigen Fotografen-Lebens ohne Bildstabilisator fotografiert. In „normalen“ Brennweiten-Bereichen achte ich auf Verschlusszeiten von mindestens 1/160 s, da ich oft relativ schnell agiere und damit schnell mal das ruhig-Halten der Kamera vergesse. In hektischen Situationen stelle ich lieber ISO 200 und 1/400 s ein, als ISO 100 und 1/200 s.
In letzter Zeit habe ich jedoch den Bildstabilisator schätzen gelernt, da ich viel in dunklen Räumen mit recht langsam-bewegten Personen fotografiert habe. Gerade bei längeren Brennweiten schleicht sich bei mir jedoch immer noch ein ungutes Gefühl im Magen ein, wenn ich Zeiten unter 1/100 s verwende. Deshalb sind mir lichtstarke Objektive immer noch lieber als solche mit Stabilisator – sie sind einfach flexibler einsetzbar (mehr Spielraum mit geringer Tiefenschärfe, Fotografieren von Bewegungen) und ich kann Kameraeinstellungen verwenden, auf die ich guten Gewissens vertraue.
Letztendlich muss jeder von euch anhand seiner bevorzugten Motive selbst entscheiden, ob sich der Mehrpreis für ihn wirklich lohnt.
Wie sind eure Erfahrungen mit dem Bildstabilisator? Hält er immer was er verspricht? Oder steht ihr so wie ich auch einfach auf mehr Lichtstärke?
Kai Thrun
Hi Stefan,
Danke für deinen Beitrag. Ich stehe genau vor dem geschilderten Problem mit dem 70-200er und ich habe für mich noch keine Lösung gefunden.
Ich glaube aber, dass ich als Hobbyfotograf den Aufpreise nicht gewillt bin zu zahlen :/
Lieben Gruß,
Kai